Der Jungbusch ist Mannheims „Arrival City“
Lösungen finden für die ganze Stadt

Arrival

Seit Ende der 50er Jahren, als die ersten Gastarbeiter vom Süden in den Norden kamen, ist der Jungbusch ein wichtiger Ort der Ankunft. Hier finden Neuankömmlinge erste Orientierungshilfen und wachsen in die Aufnahmegesellschaft hinein. Über Jahrzehnte hinweg entwickelte der Stadtteil die Fähigkeit, mit den Herausforderungen der Migration und des Zusammenlebens nicht nur zu recht zu kommen, sondern sie als Stärke zu sehen. Voraussetzung war, dass zwischen Luisenring und Verbindungskanal nicht nur in Bauwerke investiert wurde, sondern auch in Programme und Projekte, sprich in Menschen und den sozialen Zusammenhalt.

Durch die aktuell hohe Zuwanderungsrate von Menschen aus Südosteuropa wird das Zusammenleben im Jungbusch erneut auf die Probe gestellt. Intoleranz zeigte sich in einer bisher nicht gekannten Art und Weise und als deutlich sichtbares Zeichen von Überforderung. Es kommt nun darauf an, wie der Stadtteil mit dem Thema umgeht. Schiebt er es als Störfaktor zur Seite? Oder stellt er sich der neuen Herausforderung und geht gestärkt daraus hervor? Auf der letzten Bewohnerversammlung, die das Thema „Wohin geht der Jungbusch?“ hatte, haben Stadtteilakteure darauf hingewiesen, dass sich im Jungbusch Problemstellungen früher als anderswo in Mannheim zeigen und bisher immer Lösungen nicht nur für den Stadtteil, sondern die ganze Stadt gefunden wurden.

Seit Juli 2011 gibt es dank Förderung durch das Programm „Soziale Stadt“ auch eine Informations- und Anlaufstelle für die neu Zugewanderten. Marija Krstanovic ist im Auftrag des Gemeinschaftszentrum Jungbusch Ansprechpartnerin für Fragen rund um die Themen Wohnen, Bildung, Arbeit und Gesundheit. Die bisherige Resonanz zeigt, dass die Vermittlung von Informationen zu Rechten und Pflichten in Deutschland die wichtigen Voraussetzungen dafür sind, dass die Zugewanderten ihre eigene Situation realistisch betrachten und sich an die neue Umgebung anzupassen können. So ist es keine Überraschung, dass Marija Krstanovic bereits nach wenigen Monaten ein steigendes Interesse an Deutschkursen ebenso wie an Fragen nach Bildungschancen von Kindern und Jugendliche feststellt. Darin zeigt sich, dass viele der südosteuropäischen Zuwanderer ihren Aufenthalt in Deutschland nicht nur als vorübergehend ansehen und demzufolge Integrations- und Anpassungsbereitschaft zeigen.

Viel Wert legt Projektleiter Michael Scheuermann darauf, dass die Anlauf- und Informationsstelle, die zusammen mit dem städtischen Integrationsbeauftragten und dem Caritasverband Mannheim getragen wird, ein Bestandteil der gesamtstädtischen Arbeitsgruppe Südosteuropa ist. Denn die Integrationsarbeit kann nur dann erfolgreich sein, wenn parallel dazu Missstände, kriminelle Strukturen und ausbeuterische Machenschaften entschieden bekämpft werden.

MS

„Stillstand gibt es nicht“

Über den Umgang mit Zuwanderern – ein Kommentar

 

Der Jungbusch erfährt seit geraumer Zeit einen Zuwachs an Zuwanderern, vornehmlich aus Südosteuropa. Zuwanderung aus anderen Kulturen wird fast immer im ersten Zuge als Bedrohung der bestehenden (Werte-)Ordnung empfunden. Die spontane Reaktion ist oft eine Abwehrhaltung nach dem Motto „Warum hier? Warum wir?“ – vor allem wenn Migranten aus der Armut kommen und scheinbar nichts weiter mitbringen als die Hoffnung auf ein besseres Leben.

Die Kommunen haben zwei Möglichkeiten mit diesen Menschen umzugehen: Repression oder Integration. Da Migrationsbewegungen nicht aufzuhalten sind, ist Repression mit dem Sankt Florian-Prinzip gleichzusetzen („Heiliger Sankt Florian / Verschon‘ mein Haus / Zünd‘ andre an!“); ein solches Verhalten ist unfair und löst das Problem nicht. Wollen wir fair und realistisch bleiben, ist die einzige Lösung die Integration. Integration ist ein langer Weg, der von beiden Seiten beschritten werden muss. Den ersten Schritt müssen diejenigen machen, die ihre Wurzeln hier haben oder geschlagen haben, um denjenigen, die ihre verloren haben, zu helfen sich in ihrer neuen Umgebung irgendwann zuhause fühlen zu können. Integration heißt nicht Assimilation. Wer die komplette Anpassung von Zuwanderern verlangt, erwartet deren Identitätsaufgabe, was sich – Hand aufs Herz – kaum jemand für sich selbst vorstellen kann.

Der Jungbusch hat sich in den letzten Jahren positiv verändert und droht in den Augen vieler nun wieder zu einem sozialen Brennpunkt zu werden. Der Unmut ist verständlich. Aber „Stillstand gibt es nicht“ (um mit Jean Tinguely zu sprechen);  der Jungbusch ist ein Mikrokosmos dessen, was in zahlreichen Städten weltweit passiert – und sollte das als Chance und nicht als Bedrohung wahrnehmen. Der Jungbusch hat in der Vergangenheit viel erreicht auf dem Weg zur Integration. Das war nicht immer einfach, aber letztendlich immer erfolgreich. Erinnert sei an den Bau der Yavuz Sultan Selim Moschee, der anfangs als „Niedergang des Abendlandes“ gesehen wurde, und dann nach intensiven Gesprächsrunden und Diskussionen mit allen Beteiligten (Stadt, Kirchen, Islamischem Bund, Bürgern) einvernehmlich durchgeführt wurde. Mehr noch: Die Mannheimer Moschee gilt bundesweit als „Vorzeige-Moschee“; jährlich nehmen Tausende Besucher von überall her an den Führungen teil und nicht wenige kommen explizit, um sich vom „Mannheimer Modell“ inspirieren zu lassen.

Mannheim ist eine Stadt wie viele andere Städte in Deutschland, die eine lange Geschichte der Zuwanderung hat. Ein Großteil der Migranten war arm, verfolgt, hatte andere Religionen als wir, verständigte sich in Sprachen, die wir nicht verstanden. Dennoch ist Mannheim nicht trotz, sondern wegen seiner Zuwanderer das geworden ist, was es ist. Denn Menschen bringen mehr als Probleme und die Hoffnung auf ein besseres Leben mit.

Die Stadt hat in den vergangenen Jahren immer wieder stolz mit ihrer Tradition der Toleranz geworben. Ein repressives Verhalten würde sie in eine Zeit zurückwerfen, die es nicht mehr gibt.

Nadja Encke

 

Städte als Orte der Zuwanderung

Doug Saunders über neue Migrationsbewegungen

„Ankunftsstädte“ steht für Orte, in die Menschen bevorzugt zuwandern. Es sind Stadtbezirke, in denen neu Zugezogene in großer Anzahl leben. Die zuwandernden Menschen fliehen vor dem Leben auf dem Land, das ihnen keine Perspektive mehr bietet. Sie kommen in der Hoffnung, in der Stadt eine neue Erwerbsquelle zu finden oder zu schaffen. Daran knüpfen sie auch die Hoffnung auf bessere Lebensverhältnisse als die, welche sie aus ihrer Heimat kennen. Gleichzeitig soll die neue Lebensgrundlage dazu dienen, die Familie in der Heimat mit zu versorgen.

Diese Ankunftsstädte, wie sie weltweit existieren, kennzeichnen sich durch Eigengesetzlichkeit und Eigendynamik aus. Was ursprünglich als Durchgangsstätte gedacht war, wird zum neuen Zuhause. Der von anderen Zuwanderern im Umfeld geschaffene Mikrokosmos ermöglicht in weiten Teilen die Aufrechterhaltung bisheriger privater Lebensgewohnheiten. Im Erwerbsleben zeichnen sich die Zuwanderer durch Disziplin und harte Arbeit aus, um das eigene Leben und das der zurück gebliebenen Familienangehören gleichzeitig zu finanzieren.

Viele Städte sind auf diese Weise entstanden. Berlin und Paris sind beispielsweise das Ergebnis von Landflucht und intensiver Wanderbewegungen. Heute sind es Menschen aus anderen Ländern, die sich durch Zuwanderung in die Städte ein besseres Leben erhoffen.

Anhand zahlreicher Beispiele zeigt Saunders Faktoren für das Gelingen und Misslingen der Integration von Zuwanderern auf. Positiv wirken Beachtung, Akzeptanz der Zuwanderer und der von ihnen hervorgebrachten Lebensweisen sowie ein reeller Zugang zur ansässigen Gesellschaft. Kritisch sind Missachtung und Ausschluss zu bewerten.

Der soziale Frieden ist vor allem dann bedroht, wenn die von den Zugewanderten geschaffenen Quartiere samt ihrer Mikrokosmen vernichtet werden, z.B. durch Zerstörung der innerstädtischen Bezirke oder die Vertreibung der Zuwanderer in Vororte. Die Folgen für Zugewanderte und Gesellschaft sind gleichermaßen fatal: Die gewachsenen Netzwerke innerhalb der Ankunftsstadt werden zerrissen und gehen mit einem sozialen Abstieg einher. Soziale Probleme und Spannungen nehmen zu und können sich in sozialen Unruhen entladen.

Mit „Arrival City“ ist Saunders ein Werk gelungen, das nicht nur spannend zu lesen ist, sondern darüber hinaus historische und aktuelle Bezüge gleichermaßen aufgreift. Die Hauptbotschaft ist, dass die Lebensqualität in einer Stadt künftig davon abhängt, wie eine Gesellschaft mit ihren Zuwandern in den Ankunftsstätten umgeht. Jedes Land bzw. jede Stadt hat dabei die Wahl: die kreativen Potenziale, den Ehrgeiz und die Hoffnung auf ein besseres Leben der zuwandernden Menschen für die Weiterentwicklung der eigenen Gesellschaft und Wirtschaft zu nutzen, oder eben dieses Potenzial zu ignorieren oder gar zunichte zu machen.

BF

Buchtipp:

Saunders, Doug (2011). Arrival City. Über alle Grenzen hinweg ziehen Millionen Menschen vom Land in die Städte. Von ihnen hängt unsere Zukunft ab. Karl Blessing Verlag, München. 22,95 €.

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