Nachtwandel 2013

BESUCHERECHO

Ein Wandel durch die Nacht – erlebte Integration im Jungbusch?

ein Stimmungsbericht der Nachtwandlerin Monika Kuzel

Wer hätte es für möglich gehalten – in Zeiten von Thilo Sarrazins populistischem Machwerk, endlosen Kopftuchdiskussionen und unzähligen Talkshows zum Thema Integration – in dieser einen besonderen Nacht in diesem einen besonderen Stadtteil in Mannheim scheint es möglich zu sein!

Aber nicht nur die verschiedenen Nationalitäten scheinen sich in dieser Nacht zu integrieren. Da wandelt das kulturbegeisterte, gut situierte Paar aus dem Lindenhof – sie im adretten Mäntelchen und auch er im feinen Zwirn – vorbei an mannshohen Skulpturen aus Metall, einem Essensstand mit leckeren italienischen Bratwürsten und weit geöffneten Kneipentüren aus denen Musik, Rauch und Partylärm quillt.

Direkt daneben am Kiosk ein weit geöffneter dunkelblauer Riesenmercedes, umvölkert von lautstarken Männern, Frauen und Kindern – zugewandert aus den so genannten „Ländern Südosteuropas“. Und dazwischen immer wieder spielende Kindern italienischer oder türkischer Abstammung, Jugendliche mit schlecht sitzenden Hosen und natürlich all die Menschen, die einfach hier im Jungbusch leben und heute Nacht ihren Stadtteil feiern

Aus einem Fenster im Erdgeschoss schaut ein neugieriges Rentnerpaar – ganz klassisch auf ein Kissen gelehnt – was in ihrer Straße plötzlich alles los ist!

Am Verbindungskanal hinter der Kaufmannmühle kann man einen Feuerschlucker bestaunen, der eine Theaterperformance begleitet und direkt vor der Bühne am Quartiersplatz, auf der eine Gruppe Jugendlicher eine Breakdance Nummer vorführt, steht eine junge Mutter mit ihrem Baby auf dem Arm und beide schauen fasziniert zu.

Weiter geht’s zur Fatih Moschee, wo man empfangen wird von perfekt deutsch sprechenden jungen türkischen Mädchen und während man versucht der Führung zu folgen, hört man aus dem benachbarten „Mucki-Studio“ laute 80iger Jahre Live Musik – nichts wie auf in den nächsten Hof.

Liebevoll gestaltete, grüne Innenhöfe, wunderschön restaurierte Altbauwohnungen mit tollen Illustrationen an den Wänden des Riesenflurs, technisch aufwändige gestaltete Lichtinstallationen – es scheint nichts zu geben, was es hier nicht gibt. Draußen zieht derweil eine deutsche Trommelgruppe mit afrikanischer Percussionmusik durch die Straßen – auch das eine lustige Erscheinungsform gelebter und erlebter Integration.

Am Sektstand vor dem Kult- und Kulturcafé Cafga trinkt man edlen Champagner während gegenüber – why not – neugierige Nachtwandel-Touristen in die Why Not- Bar strömen. Und ab einem gewissen Zeitpunkt am späten Abend verwandelt sich die Jungbuschstraße in eine lärmende Partymeile mit trinkenden und feiernden Menschen, was ein wenig an die Hamburger Reeperbahn am Samstagabend erinnert.

Man findet sie alle hier – Rentner und Rapper, Jugendliche mit Migrationshintergrund neben teuer gekleideten Pärchen, die staunend durch die Hinterhöfe ziehen: So sieht das also aus im Jungbusch; diesem Stadtteil mit dem „hohen Ausländeranteil“, der berühmten Popakademie und der größten Moschee Deutschlands……

Alles vermischt sich mit allem – Kunst mit Trash, Kultur mit Kommerz, Jung mit Alt, Deutsch mit Türkisch, Islam mit Christentum……alle Generationen, alle Nationalitäten, alle sozialen Schichten – hier wandeln sie gemeinsam durch die Nacht – wunderbar!

Der Jungbusch ist sprudelndes Leben

Nachtwandel
Unglaublich vielfältig. Bereits auf der Feier zum 25jährigen Jubiläum konnte ich sehen, wie stolz die Bürger des Jungbusches auf ihren Stadtteil sind. Der Jungbusch hat Charakter. Seine gewachsene Geschichte – dieses Viertel wäre beinahe ausgelöscht worden! – sowie die bunte Mischung von Menschen und der Nachkommen der damaligen Hafenarbeiter verleiht diesem Viertel echte Identität. Das Viertel hat Charakter, weil die Menschen Charakter haben. Diese Energie hat mich bezaubert.Nach 20 Jahren im romantischen Heidelberg habe ich nirgendwo solch lebendige und reiche Vielfalt gefunden. Und der Nachtwandel, der den Jungbusch weit öffnet und in seine Seele eintauchen lässt, hatte eine regelrechte Sogwirkung auf mich. So schlenderte ich durch die dunklen Straßen mit all ihren köstlichen Düften und poetischen Rezeptionen, die durch die Luft schwirrten. Vorbei an Gianni´s Pizzaladen in der Beilstraße und dem Sackträger-Denkmal warf ich einen Blick in die Onkel Otto Bar, in diverse Hinterhöfe und kreative Werkstätten. Überall überkam mich das gleiche Gefühl: Leben. Der Jungbusch ist sprudelndes Leben mit Menschenvoller Charakter. Und so fuhr ich mit dem Gefühl nach Hause: Wie gern würde ich dort auch leben.
Sigrid F.

Unglaublich vielfältig

Bereits in einiger Nähe zum Jungbusch verspürte man einen geheimnisvollen Sog zum Nachtwandel hin, die Gangart unserer Gruppe wurde zunehmend schneller je näher wir kamen. Angekommen wurde mir schnell klar, dass hier etwas Spannendes stattfindet: Stadtteilbewohner, die sich mit hauptsächlich studentischem – aber auch gemischtem Publikum auf vielerlei Bühnen zum einen begegneten, zum anderen auf ihre Weise zeigten, dass sie in anderen Welten leben. Überragend fand ich schließlich das unglaublich vielfältige Angebot zwischen Dancefloor, ästhetischem Erleben und Flair
Martin Roth

Share