Die Stärken einsetzen
Quartiermanagement zum Thema Gentrifizierung

Stärken einsetzen

Der Jungbusch ist in Bewegung

In der Tat: unser Jungbusch befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Wer mit offenen Augen durch das Viertel geht, sieht das. Es wird gebaut und renoviert. Neue Nachbarn ziehen ein, andere aus. Menschen aus Bulgarien werden genauso zu neuen Nachbarn wie der Student aus der Popakademie oder der Berufseinsteiger mit Kreativberuf, den er vielleicht im Musikpark lernte. Doch nicht nur junge Menschen zieht der „Busch“ an; auch „gestandene“ Mittfünfziger geben ihre Wohnung in einem anderen Stadtteil auf und tauschen sie mit einer Eigentumswohnung im Jungbusch – manche mit Blick auf die lebendige Beilstraße, andere mit Blick auf den Verbindungskanal. Unser Quartier wird dadurch vielfältiger und das ausgegebene Ziel einer gemischten und ausgewogenen Bewohnerschaft, die ein auf festen Füßen stehender Stadtteil braucht, ist greifbar nahe gerückt.

Erinnern wir uns! Noch vor wenigen Jahren waren unsere Themen die schlechten Bildungs- und Zukunftschancen der Kinder. Jugendliche mit Wohnadresse Jungbusch hatten von vornherein schlechte Karten bei ihren Bewerbungen. Der Jungbusch war der isolierte Stadtteil. Und doch wurden oftmals hohe Mieten für Bruchbuden gezahlt. Viele, die im Jungbusch wohnten, sahen sich als Verlierer der Gesellschaft, die in der vielgescholtenen „Rumpelkammer Mannheims“ lebten.

Strukturwandel brachte Erfolge

Durch gemeinsame Anstrengungen für einen neuen Jungbusch erreichten wir viel Wegweisendes, insbesondere für Bildungsgerechtigkeit und für bessere Zukunftschancen. Die Umwandlung der Grundschule in eine Ganztagesgrundschule eröffnet immer mehr Jungbuschgrundschülern den Übergang in höhere Schulen. Initiativen wie QUIST, Internationaler Frauentreff, Creative Factory, Laboratorio 17, Kulturbrücken, OMM und viele andere geben nicht nur vielfältige Unterstützung bei der Bewältigung von Lebensfragen, sondern sorgen auch für ein neues Selbstbewusstsein der Menschen im Quartier. „Wir im Busch!“ heißt es heute. Der Jungbusch wird zunehmend als kultureller Brennpunkt, nicht mehr als sozialer Brennpunkt erlebt. Dabei werden die Augen keineswegs vor der Armut und den sozialen Problemlagen verschlossen.

Mit einem umfangreichen Integrationsprogramm hat der Jungbusch Pionierarbeit geleistet und gute Wege eröffnet, den neuen Zuwanderern schnell eine Chance in Deutschland zu geben. Dadurch konnten wir drohende soziale Konflikte vermeiden. Schon nach wenigen Jahren bringen sich die ersten Zuwanderer mit Engagement in das Stadtteilleben ein und Lotsen weisen den Neuankömmlingen den richtigen Weg. Durch den Bau der Jungbuschhalle entstand ein Sportverein, in dem Menschen gemeinsam Sport treiben: Alt und Jung, mit oder ohne Migrationshintergrund, mit großem oder kleinen Geldbeutel – ein Gewinn für den Zusammenhalt im Quartier! Und auf dem Spielplatz Beilstraße, auf dem man die Not wie an keinem anderen Ort im Viertel greifen kann, engagieren sich unter dem Motto „Mahalle – unser Quartier“ stetig engagierte Bewohner zusammen mit Profis aus den Einrichtungen beispielsweise mit Kreativangeboten für Kinder und Familien. Sie machen die dortige Piazza zu einem Ort der Bildung und des guten nachbarschaftlichen Miteinanders.

Kontraste prägen den Jungbusch

Der Jungbusch steht nicht mehr im Abseits, sondern ist wieder Teil der Stadt und zwar ein ganz besonderer! Doch das ist nur die eine Seite der Medaille.

Schaut man nochmals in die Beilstraße, so passiert hier auf engstem Raum so viel, dass man die Vibrationen spürt. Armut und Reichtum überkreuzen sich hier, wenn die Kinder im Müll spielen und nebenan die feineren Leute ihren Cocktail trinken; oder wenn die Junkies sich vor der Jugendhilfeeinrichtung einen „reinziehen“ oder wenn Familie Öztürk die Koffer packt, weil sie die Mieten im sanierten Haus nicht mehr zahlen können, in die nun eine Studenten-WG und junge Paare einziehen werden. Viele Häuser im Jungbusch wechseln zurzeit die Besitzer. Investoren wittern ihre Chance, Immobilien aufzumöbeln und mit wenig Geld in kurzer Zeit viel Cash zu „ziehen“. Doch es gibt auch die Eigentümer, die ihr Geld mit viel Energie für einen „Busch“ investieren, der auch in Zukunft vielfältig und sozial ausgewogen sein soll. Man erkennt diese Häuser daran, dass ein guter Geist darin weht. Dass die Migrantenfamilie gut mit den Studies auskommt, man sich Hallo, Merhaba oder Dobar Dan sagt, man bisweilen ein gemeinsames Grillfest feiert und der Rechtsanwalt, der neu einzog, dem Zuwanderer beim Lesen der Amtspost hilft.

Ein idealistischer Traum? Nein, dies ist das Besondere im Jungbusch, das gibt es vielfach, an unterschiedlichen Orten. Bewohner engagieren sich als Bildungspaten, Integrationshelfer und, und, und. Hier überkreuzen sich Lebenslagen und Lebensgeschichten.

Risiken sehen – Chancen nutzen!

Der Jungbusch ist nicht nur gutes Beispiel für eine weltoffene Stadtgesellschaft, sondern kann auch Modell für sozialen Zusammenhalt in einer Gesellschaft sein, in der sich sonst Lebenswelten immer mehr auseinander dividieren. Inwieweit dies gelingt ist schließlich eine Frage des politischen Willens und des Bürgerengagements sowie der Fähigkeit, Gestaltungskräfte zu bündeln.

Damit dies gelingt, dürfen wir unsere Augen auch nicht vor den negativen Auswirkungen der sogenannten Gentrifizierung verschließen. Wir brauchen aber genauso wenig mutlos sein, denn wir sehen die Chancen und positive Beispiele der Entwicklung.

Dabei stehen wir vor großen Fragen: Wie kann es gelingen, dass steigende Mieten nicht zur Verdrängung ganzer Bewohnergruppen führen? Wie können Immobilien im Besitz ganz vieler unterschiedlicher Hauseigentümer bleiben, die an langfristigen Erfolgen ihrer Investitionen interessiert sind. Kann ein Ausgehviertel Jungbusch mit dem Wohnen in eine gute Balance gebracht werden?

Der Jungbusch stand immer vor großen Herausforderungen, weil gesellschaftliche Entwicklungen hier in der „Arrival City“ früher ankamen als anderswo. Ob die Stadtgesellschaft in Mannheim zukunftsfähig ist, wird sich weder in Neuostheim noch in Feudenheim zeigen, wohl aber in Quartieren wie der Neckarstadt oder dem Jungbusch.

Wir können was tun!

Es ist gut, dass wir uns darauf besinnen, was die Stärken im Quartier sind. Das wurde häufig dann erreicht, wenn sich die Bewohner und Akteure vor Ort zusammenschlossen. Auch jetzt heißt es, die Köpfe zusammenzustecken und Sorgen und Chancen offen diskutieren. Dass muss in den Gremien und „auf der Straße“ geschehen. Wir tun gut daran, die Diskussion zwischen Politik und Stadtverwaltung und Sachverständigen zu suchen. Der soziale Zusammenhalt ist ein ganz hohes Gut. Wir sind aufgefordert, denen Unterstützung zu geben, die nicht das Know How haben, ihre Interessen gut zu vertreten. Dabei sind auch Facheinrichtungen gefragt, z.B. die Mieterberatung. Und für die Stadtpolitik gilt es, Verantwortung für das Ganze zu übernehmen und dort Grenzen zu setzen oder korrigierend einzugreifen, wo der freie Markt unerwünschte Effekte bringt.

Die Kreativwirtschaft braucht den lebendigen und vielfältigen Jungbusch, denn er ist ihr Lebenselexier. Ein lebendiger Stadtteil ist ein gemischter Stadtteil, in dem Studenten, Alleinstehende, Paare und Kinder und Jugendliche wohnen. Wir dürfen die Familien nicht aufgeben. Auch Vielfalt, Weltoffenheit und gutes Zusammenleben entstehen nicht im Vorübergehen. Was aufgebaut wurde, ist aber schnell verspielt.

Michael Scheuermann, Quartiermanager


„Ich sehe die Menschen kaum noch miteinander reden, so aus der Begegnung heraus. Die Vertrautheit der Bewohner untereinander ist verloren gegangen, die Nachbarschaft, die Geborgenheit, die Neugier auf das Fremde.“

Zitat von Ali Mitgusch (79), Schöpfer der berühmten Wimmelbücher. Seit Beginn der 70er-Jahre kämpft der Zeichner politisch in seinem Viertel in München gegen die zunehmende Gentrifizierung, wo im Laufe der Jahre die Handwerkerbetriebe aus den Hinterhöfen verschwanden und Wohnraum in Büros umgewandelt wurden. Mitgutsch zeichnete Flugblätter und nutzte seine Bekanntheit, um auf Missstände aufmerksam zu machen.

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