Die Welt im Busch
„Es war nie mein Wunsch, mein Land zu verlassen.“ Maryam Razeghi, Iran

In der neuen Rubrik „Blick durchs Weltfenster“ werden an dieser Stelle Menschen vorgestellt, die im Jungbusch leben und/oder arbeiten, ursprünglich aber aus Ländern kommen, in denen Krieg und Terror herrschen. Wie gehen diese Menschen mit ihren täglichen Ängsten um die Familie und Freunde um? Wie sehen sie die politische Situation in ihren Ländern? Wie gehen sie mit dem Verlust ihrer Heimat um?

Eins von Maryams Bildern zeigt eine Frau von hinten, den Kopf zur Seite geneigt, einen roten Pulli tragend, der gespickt ist mit Reißnägeln. Es ist Ausdruck dessen, wie Maryam die Frauen im Iran sieht, aber auch Ausdruck ihrer eigenen Befindlichkeit.
Maryam wurde 1954 in Teheran geboren. Bis zum Sturz des Schah-Regimes 1979 ging es ihr und ihrem Mann gut. Sie arbeitete zehn Jahre lang als technische Doppelbuchhalterin bei der Luftwaffe, ihr Mann war ebenfalls beim Militär. Nach Ausruf der Islamischen Republik wurde beiden gekündigt. Maryam, mittlerweile Mutter zweier Kinder, nutzte ihre vielfältigen Hobbys, um Geld zu verdienen. Die Ehe überstand die Krise nicht. Maryam ließ sich scheiden, die Kinder blieben nach iranischem Recht beim Vater. Zwei Jahre später heiratete Maryam wieder, nicht aus Liebe, sondern „weil man als alleinstehende Frau im Iran nicht sicher ist.“ Ansonsten aber beugte sie sich nicht dem Regime. Im Gegenteil, sie setzte sich – soweit wie möglich – für die Rechte der Frauen ein. Mehrfach wurde sie verhört und bedroht, woraufhin sie 1995 schließlich das Land verließ.

Jahre des Heimwehs und der Einsamkeit

Es war eine schwere Entscheidung, denn sie musste ihre Kinder zurücklassen. 13 Jahre lang lebte sie in Tuttlingen am Bodensee, bevor sie vor zwei Jahren nach Mannheim zu ihrem Lebensgefährten zog. Jahre, in denen viel passierte: die Scheidung von ihrem zweiten Mann, ein siebenjähriges Asylverfahren, das Bleiberecht aus humanitären Gründen, Wiedersehen mit ihrem Sohn, der mittlerweile Zahntechniker in Siena ist, ein ewiges Bemühen um Arbeit, Depressionen, eine schwere psychosomatische Krankheit. „Es war nie mein Wunsch, mein Land zu verlassen.“ Deutschland sei ihr zwar zur zweiten Heimat geworden, weil sie sich hier in Sicherheit fühle, dennoch habe sie jeden Tag Heimweh, und sie erzählt von langen Jahren der grenzenlosen Traurigkeit und Einsamkeit in Deutschland. Viele Iraner seien im Exil psychisch krank geworden, sagt sie.

Der Jungbusch hat mich gerettet

Sie selbst hat verschiedene Strategien gegen die Depressionen entwickelt. Sie schreibt, treibt Sport, malt („Malen ist meine Ergotherapie.“) – und hat den Jungbusch für sich entdeckt. Über ihre Arbeit als Übersetzerin beim psycho-sozialen Dienst der Caritas lernte sie den internationalen Frauentreff kennen und fühlt sich seitdem im Jungbusch zuhause. „Der Jungbusch hat mich gerettet“, lacht sie. Über den Austausch mit anderen Frauen hinaus hat sie hier eine Plattform gefunden für vieles, was sie anbieten, zeigen, teilen möchte. So war sie eine der fünf Bräute, die beim letzten Nachtwandel in inszenierter Form Geschichten vom internationalen Heiratsmarkt und ihrem Liebe-s-leid erzählten. Am Tag der offen Tür kann sie ihre Bilder ausstellen. Sie möchte einen orientalischen Tanzkurs für Frauen und Jugendliche anbieten. Pläne hat sie viele. Und zwei Herzenswünsche: Demokratische Verhältnisse im Iran ohne ausländische Intervention – und ihre nunmehr 29-jährige Tochter nach Mannheim einladen zu dürfen. Es wäre das erste Wiedersehen nach 15 Jahren.

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