Seit 25 Jahren setzt sie sich in der Beratungsstelle der AWO Mannheim für die Menschen des Stadtteils ein. Ingrid Girgin war in der Geburtsstunde des Gemeinschaftszentrum Jungbusch im Jahr 1986 dabei und gehörte dem ersten Vorstand des dazu gegründeten Trägervereins an. Ihr besonderes Augenmerk galt der interkulturellen Frauenarbeit, der Beratungsarbeit für Menschen mit Migrationshintergrund und dem Aufbau eines Seniorentreffs für türkische Arbeitnehmer. Dazu führte die Buschtrommel mit ihr ein Gespräch.
Buschtrommel: Können Sie sich noch daran erinnern, wann Sie das erste Mal mit dem Jungbusch in Kontakt kamen?
Ingrid Girgin: Sehr gut sogar. Es war im Jahr 1979 und ich war eine junge Frau mit 35 Jahren. Eine wissenschaftliche Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung führte mich in den Stadtteil. Ich hatte damals große Angst. Abends standen die Mädchen zum Anschaffen auf der Straße. Die ausländischen Familien, mit denen ich in Kontakt kam, schlossen sich abends regelrecht zu Hause ein. Niemand ging abends mehr auf die Straße. Interessante Leute arbeiteten damals im Jungbusch, z.B. die Familie Baklan, die Gründer der heutigen Lebensmittelhandelsgesellschaft Baktat. Er eröffnete Mitte der 1980er Jahre auch den ersten türkischen Lebensmittelladen jenseits der Teufelsbrücke im Hafen. Bis es soweit war, musste man sich anders behelfen. Ich erinnere mich noch gut an die brechend vollen Autos, die aus der Türkei kamen und jede Menge Obst und Gemüse mitbrachten, teilweise frisch, teilweise eingelegt und sogar tiefgefroren.
Buschtrommel: Im Jahre 1986 wurde das Gemeinschaftszentrum Jungbusch eröffnet. Sie waren damals dabei, oder?
Ingrid Girgin: Ich arbeitete schon damals bei der AWO Mannheim, die ich zusammen mit Claus-Peter Sauter im neu gegründeten Trägerverein als Delegierte vertrat. Die ersten Ausländer kamen Ende der 1950er Jahre nach Deutschland. An die ersten türkischen Gastarbeiter kann ich mich im Jahr 1962 erinnern. Für uns in der Beratungsstelle war es die Zeit der ersten Generation der Einwanderer, die ihre Familien zusammenführten. Das Ausländergesetz schrieb nämlich vor, dass man 12 Quadratmeter Wohnraum pro Person nachweisen musste. Der Jungbusch war für die damaligen Migranten deswegen so interessant, weil es hier große Wohnungen zu günstigen Preisen gab.
Buschtrommel: Wie sah Ihre Tätigkeit in der Beratungsstelle der AWO aus, in der sie damals arbeiteten und in der Sie heute noch als ehrenamtlich Engagierte tätig sind?
Ingrid Girgin: Das Positive damals war, dass wir sehr viel Freiräume zum Ausprobieren hatten. Über meine Beratungsarbeit lernte ich viele Migrantinnen kennen. Wir organisierten Sprachkurse und Nähkurse und feierten Frauen- und Familienfeste. Für die Frauen war es fast die einzige Gelegenheit, etwas von Deutschland außerhalb der eigenen Familie kennen zu lernen. Unsere Angebote boten sehr wichtige Freiräume, gleichzeitig boten sie den Teilnehmerinnen Schutz. Das Nischenprinzip unserer Angebote, durch das die Zugewanderten Orientierung und Vertrautheit fanden, war sehr wichtig und es ist auch heute noch nicht überflüssig. In den 1990er Jahren begann dann meine Arbeit mit Senioren. Die AWO baute im Gemeinschaftszentrum Jungbusch eine der ersten Seniorentagesstätten für türkische Arbeitnehmer in Deutschland auf.
Buschtrommel: Wenn Sie die Situation von damals mit der von heute vergleichen, welche Veränderungen fallen Ihnen ins Auge?
Ingrid Girgin: Die Migranten der ersten Generation hatten noch die Zukunft in ihrem Heimatland vor Augen. Man sparte für eine Immobilie in der Türkei. Noch heute pendeln viele Ältere zwischen der Türkei und Deutschland. Aber schon den Angehörigen der zweiten Generation ist die Türkei fremd geworden. Sie wollen ihre Zukunft hier gestalten.
Heute sind wir im Kontakt mit der vierten Generation. Mir fällt auf, dass noch heute viele der damaligen türkischen Jungbuschbewohner im Stadtteil wohnen – nur wenige sind weggezogen. Ein Grund ist, dass die Wohnungen besser geworden sind. Auch in die hiesige Grundschule haben die Familien viel Vertrauen entwickelt. Ebenso hat die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee zur Aufwertung des Jungbusch beigetragen.
Für das Gespräch und vor allem für 25 Jahre Engagement im Jungbusch bedanken wir uns ganz herzlich.
Das Gespräch führte Michael Scheuermann.