Hintergrund: Zuwanderung, vor allem aus Bulgarien, sorgt für Probleme in den mühsam aufgewerteten Wohnquartieren der Innenstadt
Osteuropäer zieht es in die City

Von unserem Redaktionsmitglied Anke Philipp

Viel Geld hat die Stadt in den letzten Jahren investiert, um Wohnquartiere in der City aufzuwerten und speziell, beispielsweise den Jungbusch, zu stabilisieren. Das ehemalige Rotlichtviertel sollte gemeinsam mit den Bewohner entwickelt werden, die angestammte Bevölkerung davon profitieren. Generelles Ziel: Mannheim, vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zur kinder- und familienfreundlichen Stadt machen, Abwanderungen stoppen und Zuzügler aus dem Umland gewinnen. Letzteres will nicht recht gelingen, auch weil die Lebensverhältnisse in den Wohngebieten für Rückkehrer nicht attraktiv und anziehend sind.
Große Fluktuation
Ein Beispiel: Während es einerseits gelang, rund um den Verbindungskanal durch die Musikindustrie neue, meist bauliche Akzente zu setzen, sind die Bewohner mit der Wohnsituation im Stadtteil nach wie vor kaum zufrieden. Schlimmer noch: Sie befürchten einen Rückfall in alte Zeiten als der Jungbusch in der Hauptsache Durchgangsstation für sozial schwächere Neuansiedler war. Denn erneut kommen Zuwanderer ins Viertel, welche lang eingeübten Spielregeln nicht beachten, ist die Fluktuation groß, die Verweildauer gering. Dazu nimmt die Zahl der Kinder und Jugendlichen, anders als in den Vorjahren, auch noch ab. Keine gute Entwicklung.
Nieder lassen sich stattdessen Studenten und vor allem Osteuropäer aus den neuen EU-Ländern, die in dem Stadtteil einfache Quartiere finden. So ist allein die Zahl der Bulgaren von 2006 auf 2007 von 22 auf 227 angewachsen – ein Trend, der auch in anderen Stadtteilen (Neckarstadt-West: Anstieg von 53 auf 252) sowie für die gesamte Stadt (Anstieg von 667 auf 1270) zu beobachten ist. Auch die Zahl der Polen und Rumänen, die sich in den Innenstadt-Quartieren niederlassen, hat stark zugenommen.
Tendenziell ziehen dafür junge Menschen nach abgeschlossener Ausbildung sowie Familien mit Kindern weg – auch weil sie für ihren Nachwuchs bessere Umweltbedingungen wünschen. Ein Verdrängungsmechanismus. Auswirkungen von prekärer Zuwanderung stehen offensichtlich einem „Bleiben“ entgegen: Prostitution in bestimmten Lokalitäten, immer mehr Wettbüros, Belästigungen, zugeparkte Straßen und Plätze, undurchsichtige Vereinslokale nehmen derzeit im Stadtzentrum wieder zu. Auch in der Neckarstadt-West, wo vor allem die Straßenzüge ab Neumarkt Richtung Neunzehnte abzurutschen drohen.
Alarmierende Entwicklung
„Wenn wir die Stadtteile weiter positiv entwickeln wollen, müssen wir was tun, vor allem die Abwanderung von alteingesessenen Bewohnern stoppen“, lautet daher die Erkenntnis vor Ort. Im Jungbusch haben 2007 zwischen September und Dezember immerhin 20 türkische Familien die Grundschule samt Stadtteil verlassen. Stadtweit sind es gar über 200 Türken, die Mannheim von 2006 auf 2007 den Rücken kehrten, neben den Jugoslawen die größte ausländische Abwanderer-Gruppe.
Eine alarmierende Entwicklung in den Quartieren, die zeigt: Wie die Deutschen legen auch die Nachfahren der einstigen Gastarbeiter-Generation selbstverständlich Wert auf Standort-Qualitäten: „Ein Migrantenanteil von 80 Prozent an den Schulen ist da mittlerweile ein Problem für viele unserer Familien“, sagt Talat Kamran vom Institut für Deutsch-Türkische Integrationsforschung.
Und auch der Sprecher der Milli-Görus-Moschee am Luisenring berichtete im Jungbusch-Koordinierungskreis, dass die Lebensverhältnisse vor der Tür zunehmend zum Negativ-Standortfaktor für ihre Mitglieder würden: Viele lassen ihre Kinder nicht mehr alleine aus dem Haus oder auf die Straße – eine Tatsache, die früher oder später den Umzug ins Umland oder in einen anderen Stadtteil nach sich zieht. „Viele Türken ziehen weg, weil sie hier keine Lebenqualität mehr sehen“, bedauert Kamran.

Mannheimer Morgen
3. Mai 2008

Share

Kommentare sind geschlossen.