Die Köpfe rauchen zurzeit im Gemeinschaftszentrum Jungbusch (GZJ). Denn zum 31.12.2012 läuft das Programm „Soziale Stadt“ endgültig aus, über das im Jungbusch seit 2007 neun Modellvorhaben (siehe unten) mit einer jährlichen Bezuschussung von 130.000 Euro durchgeführt wurden. Das Ende des Programms bedeutet auch das Ende der laufenden Projekte – wenn sich keine anderen Finanzierungsmöglichkeiten finden.
Bereits ab 01.01.2012 muss das Projekt „Integration durch Sport“ ohne Förderung aus dem Programm zurecht kommen. Hinter dem Titel „Soziale Stadt“ verbarg sich ein ehrgeiziges Programm der deutschen Städtebauförderung, das sich explizit an Stadtteile – darunter auch der Jungbusch – mit besonderem Entwicklungsbedarf richtete. Getragen wurde es vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie den Ländern.
Ziele des Förderprogramms waren, die Wohn- und Lebensbedingungen ebenso wie die wirtschaftliche Basis in den Quartieren zu verbessern, die Lebensqualität durch Vermittlung von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen zu erhöhen und den sozialen Verbund in den Stadtteilen zu stärken. Um baulich-investive Maßnahmen mit sozialen Maßnahmen verknüpfen zu können, stellte der Bund 2006 zusätzliche Mittel aus dem Städtebau für nicht-investive Maßnahmen zur Verfügung. Damit konnten in Mannheim ab 2007 in sechs Quartieren Modellvorhaben initiiert werden, die u.a. auf den Spracherwerb, die Verbesserung von Schul- und Bildungsabschlüssen, die Betreuung von Jugendlichen in der Freizeit, auf kulturelle Teilhabe, Gesundheitsförderung sowie lokale Ökonomie zielten.
Die neun Modellvorhaben im Jungbusch wurden vom GZJ, dem Bewohnerverein, der AWO, dem Caritasverband und dem Internationalen Mädchentreff entwickelt. Die jeweiligen Träger beteiligten sich an der Finanzierung mit einem Eigenanteil von 40 Prozent.
Obwohl es der Grundidee des Bund-Länder-Programms und dem integrierten Handlungsansatz widerspricht, wurden 2011 die Modellvorhaben vom Bund eingestellt und die Städtebau-Mittel wieder auf die investiv-baulichen Maßnahmen beschränkt.
Die durchweg erfolgreichen Projekte können allein mit Mitteln der Träger nicht fortgeführt werden, sodass ab Ende des Jahres mit massiven Einschnitten in den Angeboten zu rechnen ist. Dies trifft den Jungbusch in einer Phase, in der durch Strukturwandel und der Zuwanderung von Menschen aus Osteuropa neue Herausforderungen und Konfliktlagen entstanden sind.
Folgende Modellprojekte der „Sozialen Stadt“ wurde im Jungbusch entwickelt:
– Theater- und musikpädagogisch ausgerichtete „Kompetenzwerkstatt für männliche Jugendliche“ mit Migrationshintergrund (GZJ)
– Projekt „Integration durch Sport und Bewegung (GZJ)
– Eltern-Kind-Projekt „Zusammenleben lernen“ (GZJ)
– Soziokulturelles Projekt „Kunst und Kultur für einen lebendigen Jungbusch“ (GZJ)
– Mädchenprojekt „Fit für die Zukunft“ (Stadtjugendring/Int. Mädchentreff)
– Internationale Malschule (AWO)
– Internationaler Frauentreff (Bewohnerverein)
– Projekt „Kulturdolmetscher“ (Caritasverband)
– Projekt „Umwelterziehung und Partizipation“ (2010 beendet und mit Mitteln der Deutschen Telekom fortgeführt)
Was das Ende des Förderprogramms „Soziale Stadt“ konkret bedeutet
Zum 31.12.2012 endet die Finanzierung von insgesamt sieben Projekten durch das Programm „Soziale Stadt“´; ein Projekt erhält bereits in diesem Jahr keine Förderung mehr. Wir haben einige Akteurinnen und Akteure aus den Projekten gefragt, was durch das Förderprogramm aufgebaut werden konnte und was der Wegfall der Gelder bedeutet.
Internationale Malschule: Hohe integrative Wirkung
Die Internationale Malschule ist ein künstlerisches Projekt, das wegen seiner hohen integrativen Wirkung einen beträchtlichen Bekanntheitsgrad erreicht hat – weit über die Grenzen des Jungbusch und der Stadt Mannheim hinaus. Durch das hohe Engagement der Künstlerin Christine Behrens können Kinder und Jugendliche nicht nur die eigene Kreativität entdecken, sondern sie erleben auch, dass ihre Werke tatsächlich ausgestellt und bewundert werden. Viele Preise wurden gewonnen, viele Ehrungen hat das Projekt erfahren und jetzt ist vielleicht Schluss.
Im Augenblick werden noch immer alternative Lösungen gesucht, die AWO wird natürlich weiterhin kostenfreie Räume zur Verfügung stellen und wahrscheinlich einen Teil der Kosten bezuschussen, aber das hängt natürlich davon ab, ob sich noch weitere Finanzquellen erschließen lassen: Die Hoffnung stirbt zuletzt…
Angelika Weinkötz (Arbeiterwohlfahrt Mannheim)
Kulturdolmetscher: Einsatz von 50 interkulturellen Vermittlern steht auf dem Spiel
Mit dem Ziel, die mitgebrachten Kompetenzen von Menschen mit Migrationsgeschichte zu stärken, ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erhöhen und die Beteiligung der Gesellschaft am Aufnahmeprozess der Zugewanderten zu fördern, hat der Caritasverband Mannheim 50 Kulturdolmetscher ausgebildet. Durch die Qualifizierung zu Fachkräften in kulturkompetentem Dolmetschen sind Menschen mit Migrationserfahrung und guten Deutschkenntnissen in der Lage versetzt worden, zwischen Gruppen und Personen mit unterschiedlichen kulturellen, sprachlichen und religiösen Prägungen vermittelnd tätig zu werden.
Die Qualifizierung zum Kulturdolmetscher wurde zertifiziert und als Weiterbildungsmaßnahme von der Agentur für Arbeit /Job Center Mannheim anerkannt. Das hat die Chancen der Teilnehmenden auf dem Arbeitsmarkt erhöht.
Die Kulturdolmetscher sollten nun als Angebot und Unterstützung für die Stadtteilarbeit eingesetzt und deren Ressourcen gezielt für die gemeinwesenorientierte Arbeit genutzt werden. Ein „Servicebüro Kulturdolmetscher“ als Dienstleistungsangebot im Jungbusch könnte die Teilhabe der hiesigen Zugewanderten gezielter unterstützen und deren Zugang zu den öffentlichen Dienstleistungen erheblich erleichtern. Der Wegfall der Fördergelder bremst die Weiterentwicklung des Projektes „Kulturdolmetscher“ und die Nutzbarmachung der Ressourcen der Kulturdolmetscher aus.
Dr. Orietta Angelucci von Bogdandy (Caritasverband Mannheim e.V.)
Kulturprojekte: Bildung kostet nun mal was!
Das Programm „Soziale Stadt“ ist ein wichtiger Stützpfeiler bei dem Vorhaben, die Lebens- und Wohnraumqualität im Jungbusch und die Integration von Menschen in das Gemeinschaftsleben zu verbessern. In den letzten Jahren wurden zahlreiche soziokulturelle und künstlerische Projekte mit nachhaltiger Wirkung realisiert. Die mit viel Energie initierten guten und hilfreichen Projekte dürfen nicht sterben. Kunst und Kultur bilden, bringen Menschen mit neuen, anderen Perspektiven in Kontakt, regen zur Diskussion und zum Austausch an. Politiker betonen immer, wie wichtig Bildung ist – und gleichzeitig kürzen sie die Mittel. Aber Bildung kostet nun mal etwas!
„Soziale Stadt“ bzw. „Soziale Nachhaltigkeit“ sind Zukunftsthemen, die soziale Disparitäten, Spannungen in der Gesellschaft sowie den Ausgleich und das Management von Differenzen in einer Stadt besser verstehen und in der Folge „überbrücken“ helfen können. In einer Zeit fragmentierter gesellschaftlicher Bindungen zu kürzen ist verantwortungslos.
Was mich betrifft: Zwei meiner Theatergruppen werden aus dem Programm bis Ende des Jahres gefördert. Wie es damit weiter geht ist unklar.
Lisa Massetti (Gemeinschaftszentrum Jungbusch)
Integration durch Sport: ein ganzer Stadtteil profitiert
Die Vielzahl einzelner sportlicher Aktivitäten hat ein großes Ganzes ergeben, denn der Jungbusch bekam einen Sportverein. Dadurch haben Kinder und Jugendliche neue Möglichkeiten, sich persönlich weiterzuentwickeln. Soziale Kompetenzen, Teamfähigkeit und Disziplin sind im Sport und im Leben gefragt. Sie machen die Erfahrung “Ich kann was“ und erweitern durch die regelmäßigen Vereinskontakte ihre Lebenswelt, weil sie sich über die Grenzen des Stadtteils hinaus bewegen.
Durch den Verein profitiert der gesamte Jungbusch, denn das Stadtteilimage wird verbessert und auf seine Bewohner fällt ein positives Licht.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Projekt Stadtteil-Sportverein wieder aufzugeben. Vielmehr gilt es, das Aufgebaute bzw. Erreichte zu erhalten.
Norman Achenbach (Jugendinitiative Jungbusch)
Wollen die Substanz erhalten
Der Wegfall der “ Soziale Stadt”-Förderung in einem Umfang von zuletzt fast 100.000 € für insgesamt vier beim Gemeinschaftszentrum Jungbusch angesiedelten Projekte stellt uns vor eine immens große Herausforderung. Eine unmittelbare Ersatzfinanzierung steht nicht zur Verfügung. Wir werden alles tun, zumindest die Substanz der Projekte zu sichern und aufgebaute Strukturen zu erhalten. Dabei ist vor allem Kreativität gefragt. Durch Kooperationen wollen wir Synergien erschließen. Mit allem Nachdruck setzen wir uns für Ersatzfinanzierungen ein und bemühen uns um zusätzliche Spenden- und Sponsoringmittel. In welchem Umfang wir die Finanzierungslücke schließen können, müssen die nächsten Wochen zeigen.
Michael Scheuermann, Geschäftsführer Gemeinschaftszentrum Jungbusch